von Kerstin Behnke
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7. Januar 2023
Es spricht vieles dafür, dass die Kooperationsfähigkeit des Menschen der wesentliche Faktor für seine rasante und dominierende Entwicklung ist. Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Kommunikation, Abwägung haben die größte Zeit der Menschheit das Überleben gesichert. Außerhalb der Gemeinschaft zu stehen, nicht mehr getragen zu werden und seinen eigenen Teil nicht mehr beisteuern zu dürfen, bedeutete den sicheren Tod. Dieses Erbe tragen wir alle in uns. Alles, was für unser Nervensystem den Anschein hat, uns in eine Position zu bringen, die zu einem Ausschluss aus der Gemeinschaft führen könnte, versetzt uns in Alarmstellung, sprich unter Stress: es gilt nicht weniger, als unser Leben zu retten. Diese wirkmächtigen Mechanismen sind gut erforscht und werden leider rücksichtslos ausgenutzt, um Interessen durchzusetzen. Aber ich möchte hier nicht auf die Methoden von Politik, Wirtschaft, etc. und die daraus resultierenden Konsequenzen eingehen, sondern im „Kleinen“ bleiben. Es hat sich ein grundsätzliches Unbehagen in die Kommunikation eingenistet, dass einen wirklichen Austausch, eine Diskussion mindestens erschwert, wo nicht verhindert. Häufig wird - sobald offensichtlich ist, dass zu einem Thema Verfechter verschiedener Meinungen im Raum stehen - alles Kontroverse umschifft. Die Angst vor negativen Folgen ist zu groß. Für die einzelnen Menschen oft sehr wichtige und zentrale Themen werden nicht mehr in Kontakt gebracht, können so nicht mehr auf vertrauensvoller Basis in der Auseinandersetzung mit Gegenargumenten und Zweifeln verändert oder auch gefestigt werden. Und der ausgesparte Themenkomplex schiebt sich in Freundschaften, familiäre Beziehungen und Kollegien und zersetzt diese so lebenswichtigen zwischenmenschlichen Bindungen. Die Themen sind groß, sie können nicht auf Dauer vermieden werden, kreisen sie doch um Grundbedürfnisse wie Frieden, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, etc. Der Austausch wandert ab in Gruppen Gleichgesinnter. Hier ist es einfach, bestätigt man sich gegenseitig in seiner Einstellung und in der Ablehnung der uneinsichtigen Anderen. Ändern soll der jeweils angeprangerte Zustand ein weiteres Gesetz, eine Regel, eine Verordnung, eine offizielle Einsicht in den Irrweg, ein Rücktritt. Ich glaube, wir sollten versuchen, diese Entwicklung umzukehren. Wir sind es immer weniger gewohnt, uns inhaltlich mit den Meinungen anderer auseinanderzusetzen, statt dessen dämonisieren wir diese und die Menschen, die sie vertreten. Wir halten sie so von uns fern und fühlen uns in Folge von ihnen umso mehr bedroht. Aus dieser Angstspirale sollten wir aussteigen. Wir sollten alles daran setzen, unsere Meinungen und Überzeugungen in einem diskursiven Prozess wertschätzend gegeneinander auszugleichen, und so das Wesen der Demokratie bewahren. Dabei gilt es, unsere persönliche Kommunikation kritisch zu hinterfragen. Und zwar im Kleinen, unter Freunden und Bekannten, im Kreis der Familie, im beruflichen Umfeld. Hören wir wirklich zu, versuchen wir die Argumente und Beweggründe der anderen zu verstehen? Können wir es aushalten, in der Schwebe zu bleiben, nicht überall richtig und falsch zu bewerten? Kann unsere persönliche Kommunikation so aussehen, dass sie unserem Gegenüber immer deutlich macht, dass er oder sie aufgehoben bleibt in der Gemeinschaft, dass nicht die Gefahr eines Ausschlusses und einer Stigmatisierung droht? Ich glaube nicht, dass das einfach ist. Für niemanden. Aber ich bin überzeugt, dass Veränderungen im eigenen Umfeld auch größere positive Veränderungen anstoßen können. In diesem Sinne wünsche ich uns gemeinsam ein gutes Jahr 2023!